Neu-Braunfelser Zeitung. (New Braunfels, Tex.), Vol. 18, No. 36, Ed. 1 Friday, July 29, 1870 Page: 1 of 4
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weraisgegeben unD redigirt DDit Ferd in ait d S. Lindh eimter.
Jahrgang 18.Freitag, den 29. Juli 1870.
Nummer 36.
Rvta über$
Abonnement auf die N. %. Zeitung
von No. bis No.
für Herrn
Am todten See.
v on
9 a ul Heyse.
weich, um ein Arzt zu sein. Jeder, ber uns
um Rath unb Hülfe angebe, wisse, daß wir
Menschen sind, seine allwissenden, allmächti-
gen Götter, unb wage es darauf hin. Der
sei ber beste Arzt, ber sein Gefübl am wenig-
sten einmische unb nie durch Reue über et-
was Unabänderliches sic bie Thatkraft für
bas, was noch vor ihm liegt, lähmen lasse.
Ich gestehe dir gern zu, daß dies sehr gesun-
de Grundsätze sind. Aber ic bin frans, Be.
stcr, unb ich weiß von Krankheiten so viel,
daß ich mir bie Diagnose stellen muß: die
meine ist unheilbar.
Ic habe, sobald bie erste Betäubung nach,
ließ, mir gesagt, daß ich’s nun tragen müs-
se, so ober so, unb wenigstens versuchen,
als ein Handlanger mich nützlich zu machen,
wenn ich das Meisterrecht verscherzt hätte.
Ich warf mich auf bie Theorie, ich sammelte,
secirte, beobachtete. Vielleicht hätte ich ob-
ne meine Erlebnisse mich auch ba bineinge-
funden. Jetzt war ein Efel in mir, her sich
gegen all das Herumtasten an ben Grenzen
unserer Erkenntniß aufbäumte. Ein Feld-
berr, ber eine Schlacht verloren hat, an ber
bas Schicksal eines ganzen Reiches hing,
wirb, so lange ber Krieg fortbauert, schwer-
lich Lust haben, im Winkel irgend einer fried-
liehen Bibliothek Taftif unb Strategit zu
studiren.
Ich dachte, die 3 e it sollte mich heilen,
mich wenigstens wieber lebensfähig machen,
wenn mein Leben auch hinfort im Schatten
bleiben müßte. Ic habe es mit einem ziel-
losen Herumreisen versucht unb habet nur
gelernt, was ein sehr abgedroschener Ge-
meinplaß ist, daß aller Scenenwechsel nicht
im Stande ist, aus einem Trauerspiel eine
Komödie zu machen. Rur ein einziges
Mal schien es, als sollte ich in das Leben,
das mir allein lebenswerth schien, in meinen
Beruf zurückgeloct werben. Es war auf
einem Dampfer, ber von Marseille nach Ge-
nua fuhr. Die Küfle lag schon weit hinter
uns, als ber Capitän in sichtbarer Bestür-
zung auf bas Verdeck fam unb fragte, ob sich
unter ben Passagieren sein Arzt befinde. Ei-
ne Dame fei plötzlich erfranft unb winde sich
in heftigen Krämpfen in ihrer Kabine. 36
hatte mich eben zum Schlafen niedergelegt
unb nahm mir vor, ber Sache ihren Lauf zu
lassen, ba hörten wir ein so heftiges Stöhnen
unb Aechsen aus ber Kajüte herauf, daß es
mich nicht ruhen ließ. Ic bat den Eapitän,
mich hinunterzufübren, unb wirklich gelang
es mir, mit einigen zweckmäßigen Mitteln,
bie ich in ber Schiffsapothefe fand, der Kran-
ken Linderung Zu verschaffen. Nun wollte
sie mich nicht wieder fortlassen, sprach be-
ständig in wunderlichem Gemisch von Spa-
nisch unb Französisch aus mich ein unb nö-
thigte mich, bie Nacht auf bem kleinen So-
pha neben ihrer Cabine zuzubringen. Da-
rüber schlief sie endlich ein, unb auch mir
fielen bie Augen zu, müde vom Hinausstarren
durch bie runde Luke auf bie mondhelle See.
Dlözlich fühlte ich etwas wie eine eiskalte
Hand, bie mir über bie Augen fuhr. Ich
starrte auf, in ber Meinung, ber Schaum
von ben Rädern sei bereingespritzt. Da fab
ich mit Entsetzen dicht vor mir bie Gestalt
ber tobten Ellen, ganz wie ich sie im Sarge
gese en, nur bie Singen groß unb tobt auf
mich gerichtet nnd ben weissen ginger auf
ben Mund gelegt, als ob sie sagen wollte:
Verrathe es nicht, daß ich mich hier einge-
schlichen habe. Darauf näherte sie sich bem
Lager ber Fremden und bob Den grünseibenen
Borhang auf, sah bie Schlafende eine Weile
an unb nieste traurig vor sich hin, mit ei-
nem ernsthaften Blick auf mich, als wollte
sie mir einen Vorwurf daraus machen, daß
ich dieser Unbekannten Hülfe gebracht unb sie
selbst hätte sterben lassen; bann lauerte sie
sich einen Augenblid wie in tiefer Erschöp-
fung am Fuszende Des Bettes nieder, nichte
mir dreimal langsam ein Lebewohl zu unb
zerfloß bann durch bie Luke wie ein dünner,
weißzer Nebelstreif.
Seit jener Nacht habe ich mich an sein
Krankenbett mehr gesetzt.
Du weißt, Karl, ich bin kein Phantast,
ich glaube nicht an Gespenster und bin so gut
wie bu überzeugt, daß Alles nur eine Sin-
nestäuschung, ein Sput meiner eigenen über,
reizten Nerven war. Aber was ändert bas
an ber Hauptsache ? Litt ich barum weniger,
weil meine eigenen Sinne mir Gewalt an-
thaten? Wer mit sich selbst zerfallen ist, wie
sann ber auf Frieden hoffen!
Unb wer nicht mehr hoffen sann, wie soll
ber noch leben?
Ic bin ein überzähliger Gast an ber Ta-
fel beS Lebens geworben. Darum ziehe ic
es vor, mich auf Französisch aus ber Gesell-
schaft wegzustehlen unb nur bir noch einmal
bie Hand zu drücken. Ich babe Niemand,
bem ich nothwendig wäre, nicht einmal einen
Hund. Unb nur ein fröhlicher und gesun-
ber Egoist mag es ertragen, sich allein an-
zugehören unb Niemand eine Freude zu ma-
chen. Verzeihe mir, Bester! Ich weiß, bu
wirst mich bann unb wann vermissen, aber
mich doch lieber nie wiederseben wollen, als
über für; ober lang in einem Narrenbause,
Monologe in ber Zwangsjacke baltend !
Dieser Brief ist fast ein Buch geworben;
ba es das letzte ist, das ich schreibe, magst bu
ihm feine Länge nachsehen. Ich werbe das
Couvert mit ruhiger Hand siegeln, ba ich
nur thue, was ich nicht lassen sann unb über-
dies für das Weiseste halte. Hier in bem
einsamen Fischerbause werben sie glauben,
ich sei ein verrückter Engländer, ba ich bei
Fackelschein mitten in ber Nacht fischen will.
WGenn aber morgen ber Kabn leer auf bem
See treibt, habe ich eben für meine Narrheit
büßen müssen, inbem ic eingeschlafen unb
unvermerft über Bord geglitten bin. Dabei
möge es bleiben für Ade, bie mich gekannt
haben,
Unb nun gute Nacht! Jc gestehe, daß ich
mit einer gewissen Neugier ans Einschlafen
gehe unb Allerlei dabei zu lernen hoffe.
Schabe nur, daß ic bir meine Beobachtun-
gen nicht mittheilen sann, wie wir es so lan-
ge mit all uuferen Studien gehalten haben.
Auch „was uns im Schlaf für Träume
fommen mögen," bin ich begierig zu erleben,
wenn ein Tobter überhaupt noch etwas er-
| lebt. — Sonst interessirt mich Nichts mebr.
Mein Testament liegt seit einem halbenZabr
beim Gerichte. Dich habe ich mit seiner
Vollstreckung betraut. — Lebewobl, Karl!
Ich banse bir für viel gute unb treue Freund-
schaft. Unb das sei das Letzte.
Dein Eberbard."
Er überlas ben Brief nicht, sondern steckte
ibn ein Gouvert, siegelte unb schrieb Die
Adresse. Dann sah er wieber in bie Nacht
hinaus, wo das Unwetter nach unb nach
verlobte. Er zündete eine Cigarre an unb
ging wieber auf unb ab, bie langbeinigen
Spinnen betrachtend, bie an ber niedrigen
Deese hinliefen. Er beobachtete eine Weile,
wie sie sich dabei benahmen, wenn er ihnen
eine dicke Rauchwolke auf ben Rücken blies.
Dann wurde ihm auch das langweilig, unb
er starrte gedankenlos auf bie weiße Tünche
seiner vier Wände.
Da wurbe es plötzlich laut in ber Gaststu-
be nebenan. Er hörte durch bie Thür, wie
eine grobe Männerstimme, bie Weber bem
Wirih noch bem Fischerknecht angehörte, sich
über ungebührliche Zumuthuugen beflagte.
Die Fraueuzimmer, bie gleich immer so
jämmerlich thäten, wenn ein Wickellind ben
Schnupfen hätte, für ein paar arme Gäule
hätten sie sein Herz ; die nach einer Fahrt
von sieben Stunden, fast immer bergauf, bet
diesem Mordwetter unb auf ben wüstesten
Wegen, von ber Krippe wegzureißzen unb
wieber fünf Stunben durch bie Nacht zu
peitschen, gleichviel, ob sie morgen noch einen
Schnaufer thun sonnten, dazu seien sie nicht
;u mitleitig. Aber wenn sie ihm ba gleich
aufm Fleck hundert Kronentbaler binzäblten,
er sei sein Schinderknecht, unb feine Fähren
müsse er in gutem Stande wieber abliefern,
unb er wolle auch feine Rube haben unb
nicht unterwegs Arme unb Beine brechen
ober in einer Regenpfütze ersaufen.
Eine zaghafte weibliche Stimme, bie bann
unb wann flehentliche Einreben versucht hat-
te, verstummte jetzt, ba ein derber Fluch unb
ein Faustschlag auf ben Tisch bie letzten
Worte begleitete. Der Wirtb legte sich
kurzangebunden ins Mittel, indem er dem
Kutscher Recht gab unb bem Unechte befabl,
Bier aus bem Keller zu holen. Dann wur-
be bas Gespräch eine Weile zwischen ben
Männern fortgesetzt. Der Kutscher schimpf-
te auf bie elende Straffe, auf ber Pferde unb
Geschirr zu Schauben würben, ber Wirth
stimmte mit ein unb fragte, warum bie Herr-
schaft überhaupt ben Weg über ben tobten
See vorgezogen hätte. Eben hatte ihm ber
.Rutscher berichtet, daß ein Erdrutsch die
Tonstraße auf vierundzwanzia Stunben un-
fahrbar gemacht, daß aber seine Herrschaft
nicht wie bie anbern Passagiere habe war-
ten, sondern lieber bie balebrechende Reife
über ben alten Paß fortsetzen wollen. Des
Kindes Wegen, das beständig gewimmert
habe — ba ging bie Thür wieber auf, und
bie Männer schwiegen plötzlich. Eine mobl-
klingende Frauenstimme ließ sich Vernehmen,
deren seelenvoller Accent selbst biese rohen
Menschen zu bezähmen schien. Wenigstens
äußerte ber .Rutscher, als bie Bitte, sofori
wieber einzuspannen, wiederbolt wurbe, fast
unterwürfig, daß es durchaus unmöglich sei,
(Fortsetzung.)
Und doch war es fast nocb furchtbarer,
in Das stille Gesicht zu sehen, das bester und
obne jeden Vorwurf in den Kissen ruhte.
Auch sonst flagte Niemand mic an. Sie
glaubten noch alle an mic und gaben ande-
ren Zufällen die Schuld. Ich aber war wie
zerschmettert unter der Wucht meines Grams
und Jammers und der wilde sten Selbstan-
klage. Wie mir der Vater, schwer wie ein
todter Körper, in die Arme stürzte, als ich
das Sterbezimmer betrat, und so fasfungs-
los in Schluchzen ausbrac, daß die Leute
unten auf der Straße stehen blieben, und
dann die alten Dienstboten, die das Kind
vergöttert hatten, und die Mutter, die völlig
verwandelt schien — noch heute sträubt sich
enir das Haar, wenn ich an die fürchterliche
Stunde zurückdenfe. Die alte grau rief
nac Wein für mich, wir wollten auf Elen’s
Gesundheit trinfen. Der „sogenannte liebe
Gott" werbe wohl nichts dagegen haben.
Aber als ber Bediente ein Glas brachte,
nahm es ihm ber Vater vom Teller weg,
warf es gegen die Wand unb sagte: Ent-
Zwei unb vorbei, entzwei unb vorbei! — unb
das wohl hundert Mal, bis ihm bie Stimme
in Weinen erstickte. Da führte ihn bie
Mutter hinaus, unb ich blieb mit ber Todten
allein.
Nichts mehr von dieser Nacht. Genug,
daß ich bei ber Sektion bie volle Gewissheit
erhielt, mit weich’ ahnungsvollem Scharf-
blic ber alte Ybysitus bie Gefahr vorausge-
sagt hatte. Wäre sie noch abzuwenden ge-
wesen ? Wer sann es mit Sicherheit sagen,
ob ein Brand zu löschen ist, wenn er Wind
und Nahrungsstoff nicht genau kennt ? Ie
aber hatte mit beiden Hänten Dil in das
Geuer gegossen, bas dieses unschuldige Leben
hinraffte!
Du sannst benfen, daß ich sein Auge
scloß. Als ich am Morgen mit Fieber unb
nagenden Schmerzen noch unverrückt neben
dem falten Bette meiner Schwester saß, ging
die Thür auf, unb bie Mutter trat herein.
Sie hatte sich wieber in ihre .igentliche Na-
tur, bie sanft unb hochherzig war, zurückge-
funden, nachdem ber Krampf des ersten
Schmerzes vorüber war. Sie fiel mir jetzt
mit heißen Thränen um den Hals, unb auch
meine brennenden Augen fingen an überzu-
gehen. Lieber Sohn, sagte sie, ich bringe
Dir ba ein kleines Packet, das ich in ihrem
Schreibtisch gefunben habe. Dein Name
steht darauf.
E6 waren ihre Tagebücher, seit ihrem
zwölften Jahr bis wenige Tage vor ihrem
Tobe, auf jedem Blatt mein Name, aus bem
letzten die Worte: „Ich werbe sterben, mein
Geliebter, ich fühle e 6. Aber ich beflage
mich nicht. Ich habe dich gesaunt unb dich
lieben dürfen — was soll mir bas Leben
noc bringen? Ich wünsche nichts mehr,als
daß bu erfährst, daß ich nur für dich unb
von bi r gelebt habe!" — Unb bas ihrem
Mör der!! —
Was nun folgte, so kläglich es war, ber
Tob des Paters, bie vergrämten Wittwen
tage ber armen Butter, bis bas Kind auch
sie sich nachzog — mic sonnte es kaum noch
erschüttern. Es war so finster in mir—
was lag daran, ob noch ein Fünkchen aue.
losch ? Daß lich d a d nie verwinden unb
vergessen ließe, daß sebe $affnung bin war,
noch einmal ein froher Mensch zu werben,
stand von Anfang an fest in meiner Seele.
Ic mochte mir hundertmal vorsagen, Daß
ich im besten Glauben geirrt, daß feinem von
all unsern Berufsgenossen ähnliche Erfab-
Jungen erspart bleiben unb Niemand für et-
was Anderes, als seinen Willen, verant-
wortlich sei. Lasteten diese Drei Menschen,
leben barum weniger auf meinem Herzen,
unb sonnte ich je hoffen, mich selber loogu-
sprechen, auch wenn alle Geschworenen im
Himmel unb auf Erden mich begnadigten ?
Meinen Wohlthätern hatte ich ihre einzige
wahre Lebensfreude entrissen unb ihr Ver-
trauen to tödtlic betrogen ! Wie sollte ich
je wieber Menschen zumutben, ihr Leben in
meine Hand zu geben, ba ich das mir kost
barfle Lebeu so jämmerlich verwahrlos't hat-
te!
Ic weiß, Karl, was bu einreden wirst.
Du hast mir oft gesagt, ich sei im Grunde zu
und brachte ohne alles Fluchen leine Gründe
vor. Das Gewicht derselben schien auf bie
Dame Einbrud zu machen. Sie schwieg
ein wenig unb fragte bann, ob nicht irgend
ein Bote aufzutreiben fei, ber gegen eine
ansehnliche Vergütung ben nächsten Arzt zur
Stelle brachte; das Kind überlebe sonst viel-
leicht bie Nacht nicht. Wie sie das sagte
Zitterte ihr bie Stimme so start, daß es bem
unfreiwilligen Horcher in ber Nebenkammer
durchs Herz ging. Er trat ans Fenster, um
Durch bas Rauschen Des Regens bie bewegli-
chen Worte übertoben zu lassen. Aber eben
jetzt zerriß die Wolfenschicht über bem See,
unb in ber plößzlichen Stille, während eine
reingewaschene Mondsichel hervorblinfte,
mußte er bem Gespräch nebenan noch weiter
folgen. Der Wirth hatte Den Knecht herein-
gerufen, ob er es übernehmen wollte, in ben
kleinen Marktflecken, Der Drei Stunden weit
unten im Thale lag, hinabzusteigen unb ben
Bezirkfsarzt heraufzubolen. Es sollte ihm
nicht auf bie schlechten Wege ankommen,
sagte ber Mursch, wenn bie gnädige grau
l'ich’S was foßen lassen wollte, aber es hülfe
nichts, benn ber Hansel, ber Jagdgehülfe,
hätte ihm gerade heute gesagt, Der Sepp
müßte noc an acht Tage warten, bis er sich
bie Kugel aus Dem Schenkel ziehen lassen
sonnte, weil ber Doctor selbst frans läge ;
er hätte einen Fall gethan mit bem Pferde,
unb ber Bader hätte eine unsichere Hand,
weil er bekanntlich ein Schnappstrinfer wä-
re. — Dann wieber eine Stille. Darauf
hörte man bie traurig-sanfte Stimme Der
Dame, ob es bann nicht möglich wäre, bas
Kind auf einer Tragbahre herunterzuschaf.
fen, sie wolle selbst mit tragen helfen, nur
noch ein paar zuverlässige Leute brauche sie
unb einen mit Windlichtern, um Den Weg
Zu weisen. — Das gehe nicht an, sagte nun
wieber Der Wirtb. Eine Trage hätten sie
nicht, das Kindel bequem darauf zu betten,
auch sonnten sie nicht alle von Hause weg;
übrigens wolle er Doch noch mit seiner grau
sprechen.
Er stand eben mit sichtbarem Widerstre-
ben von seiner Ofenbant aus, als bie Wir.
thin selbst hereinstürste und jammernd ries,
bie Kindamagd lasse Die gnädige grau bitten,
binüberzukommen, an Fortieisen sei nicht zu
denken, das Kind sterbe ihr unter ben Däne
ben.
Der Lauscher Drin in ber Kammer trat
vom Fenster zurüd. Wie von einer frem-
ben Macht getrieben, that er ein paar
Schritte nach bet Thür, bann stand er wie-
ber unb schüttelte seufzend ben Kopf. Er
versuchte seinen Spaziergang bie schmale
Kammer ans unb ab wieber zu beginnen,
aber bei jedem zweiten Schritte stand er unb
horchte ins Haus hinüber. Seine Gigarre
war ihm ausgegangen. Mechanisch trat er
an bas Licht, sie wieder anjuzünden, aber ehe
er sich’s Versah, hatte er das magere Flämm-
chen mit seinem Athem ausgelösebt. Nun
Rtatrte er im Finstern auf Die verglimmenden
Funken am Dochte, unb es überlief ibn
plötzlich ein unheimlicher Schauer. Noch
ein Augenblick, unb ber fleine rethe punft
verschwand. Vielleicht hing es auch drüben
nur an einem Hauch, unb ein Lebenzflämm-
chen verfanf in schwarze Nacht, an bem mehr
gelegen war, als an diesem Pfennignümpf-
chen.
Möge es versinken! Was baben wir für
ein Recht, uns einzumischen ? Vielleicht,
inbem wir es neu anzufachen suchen, löschen
wir es nur um so sicherer aus mit unseren
täppischen Händen. Was liegt auch daran?
Einem Menschen mebr ober weniger das Lee
ben gefristet, der selber vielleicht noch einmal
wünschen wirb, nie geboren zu sein, bem
vielleicht eine Stunde kommt, wo er ebenfalls
bem einzigen Freunde gute Nacht sagt, aus
Nimmerwiedererwacher!--
Wieder horchte er unb verhielt ben Atbem,
um feinen Ton, ber von brüben fäme, zu
verlieren. Da war es ihm plötzlich, als
höre er ein klagendes Stimmchen rufen, unb
gleich darauf bie sanfte Frauenstimme, die
beruhigend zusprac, bann ein heftiges Wei-
nen — bann eine tiefe Stille. —
Länger litt es ibn nicht in seiner finsteren
Abgeschiedenbeit. Er wollte nichts weiter,
als sehen, wie es Rehe; er fam sich wie ein
Unmensch vor, daß er allein im ganzenHau-
se sich in einen fernen Winkel versteckte,
während selbst biese rohen Menschen Theil-
nahme zeigten. Hastig öffnete er bie Thür
unb tastefe sich durc bie öde Wirthestube
aus ben Flur hinaus. Die Thür brüben war
nur angelebnt, Lichtschein fiel dnrc die
Spalte, er hörte jetzt deutlich das Kind lös-
nen unb bie Mutter es trösten. Man follte
ihm einen Thee kochen, sagte bie Wirthin,
daß es in Schweiß fäme. Wenn man nur
einen hätte! — Die Hollerblüthen droben
in ber Schachtel thaten’s am Ende noch,
sagte ber Wirth. — Dann wieber Rist. Nur
bas Murmeln unb Seufzen ber Magd war
Zu vernehmen, Die in einer Ecke kniete unb
ein Vaterunser nach dem anbern betete.
— Legt ihm noch ein geberbett auf, sagte
ber Kutscher. Es hat sich verfältet. Schaut
nur, wie es mit ben Händen herumficht. Es
friert. — Am Ofen rasselte Der Knecht unb
bückte sich eben, einen großzen Holiblock in bie
flackernde Glutb nachzulegen. Da fühlte er
eine feste Hand auf feinet Schulter, sie ihn
zurückbielt. Als er sich umsab, stand der
Fremde hinter ihm.
Ihr thut seinen Spahn mehr hinein, be-
fahl ihm ber mit einem Tone, ber an Gebor-
fam gewöhnt schien. Unb Jbr macht, daß
Shr hinauskommt, unb auch 3br unb Shr,
fuhr er, zu ben übrigen mäßigen Zuschauern
gewendet, fort. Es ist eine Luft hier, daß
ein gesunder Mensch Darin er sticken möchte.
Habt Jbr verstanden ?
Die Andern sahen Rch an, nur bie frembe
Dame unb Die Wärterin des Kindes bemerf-
ten nicht, daß etwas im Zimmer Vorging.
Die Mutter lag auf ben Knieen vor bem
Bette unb hatte Den Arm um ihr stöhnende6
Rind geschlungen, als wollte sie es gegen ei-
nen Stäuber vertheidigen. Die Wärterin
stand neben ihr unb starrte rafblos verzwei-
felnd ihrem Pflegling in bie ängflit herum-
flackernden Augen unb auf bas im Fieber
brennende Mündchen, Dem von Zeit zu Zeit
ein schwaches Wimmern entfuhr. Sie er.
schrak jetzt, als ob Re ben Tob leibhaftig ber-
ankommen sähe, als ber Fremde an das
Kopfende des Bettes trat, bie Hand an bie
glühende Stirn unb Schläfe legte, bas Feine
magere Aermchen ergriff und den Puls fübl.
te. Der Schrei bes Entsetzens, ben sie un-
willkürlich ausRieR, weckte auch bie Mutter
aus ihrem trostlosen Hinausstarren. Sie
sah staunend an bem gremben hinauf, unb
ein plötlicher Hoffnungsschimmer durchzuckte
ihr Gesicht.
Gnädige grau, sagte ber Fremde, wollen
Sie einem völlig Unbekannten vertrauen, ber
sich zwar nicht vermißt, zu versprechen, daß
er 3br Kind retten werbe, ber aber ungefähr
weiß, was bas bischen Wissenschaft in einem
solchen Falle zu thun vorschreibt ?
Sie vermochte noch nicht zu antworten.
Die plötiich in ber böchsten Noth heranfre-
tende Hülfe übermannte ihre Seele.
Nehmen Sie, sagte er, inbem er eine Kar-
te aus seiner Brieftasche 3 9g ; Sie werben
meinen Namen nicht kennen, aber ber Titel,
ber ihm vorgedrucft in, sagt Jonen wobt,
Daß schon Andere mir vertraut haben. S6
sie barin Rechi ober Unrecht gethan, gehört
nicht hierher.
Die junge grau blieb vor bem Bette lie-
gen, streckte aber bie eine Hand, Die nicht ben
Kopf ihres Kindes stützte, bem Fremden ent-
gegen und sagte: Ich glaube, Daß Sie mir
von Gott gesendet sind, ber sich meiner er-
barmt bat. Ic vertraue Jonen.
So lassen Sie sofort einen Krug mit fal-
tem Brunnenwasser unb ein hölzernes Schaff
hereinbringen. Das Uebrige werde ich selbst
besorgen.
Er öffnete rasch bie beiden niedrigen Fen-
ster, nahm bas schwere geberbett ab unb
breitete nur ein groReS Plaid als Decke über
bas Kind; bann rief er den Kaecht wieber
herein, ber mit Der Anderen drauszen auf bem
Flur stand unb murrend abwartete, wo biese
eigenmächtige Einmischung hinauswolle. Er
fragte, ob nicht in ber Nähe Eis ober Schnee
Zu haben sei. —= Es gebe wohl eins, erwie.
derte ber Bursch brummig, aber ba müsse
man eine halbe Stunbe durch ben Wald
hinaufsteigen nach einem Felsloche, wo bas
Eis nie wegschmelsen sönne, weil Sommer
unb Winter kein Strahl Sonne hinkomme.
Morgen früb wolle er einmal nachschauen.
— Versteht mich wohl, sagte ber Arzt: ba
lege ich zwei Kronenthaler aus ben Tisch.
Jetzt haben wir halb zebn. Der Mond Mlest
am Himmel, das Wetter hat nachgelassen.
Wer mir bis halb elf einen Arm voll Schnee
ober Eis berun »erschafft, ber hat fich Die
Zwei Kronenthaler verdient. Morgen früh
sann er mir einen Gletscher vors Haus fah-
ren, ich zahle ihm keinen Kreuzer.
Schon gut, sagte ber Knecht mit einem
kurzen Auflachen unb schob sich zur Tbür
hinaus. Indem brachte die Wärterin bas
Wasser unb eine leere hölzerne Büste. Oh-
ne weiter zu fragen, hob ber Fremde das
Kind aus bem Bette, entfleibete es rasch unb
gab es ber Mutter zu halten, während er es
über unb über mit bem eisfalten Wasser ab.
wusch. Er trocknete es dann ebenso behende.
trug es wieder ins Bett und umbullte das
glühende Köpfchen mit einem feuchtem Tu-
che. Das Kind, das sich eben noch so sbrei.
end in seinem Arin gewunden hatte, schien
die Wohltbat dieser Erfrischung dankbar zu
empfinden. Es hörte aus mit suchenden
Blicken herumzufahren, sab einmal still unb
wie verwundert die Mutter an und schloß
bann Die Augen mit einem tiefen Seufzer.
ES stirbt ! schrie bie Wärterin überlaut
unb brach in heftiges Weinen aus. 3d
hab’ es mir gleich gedacht, das falte Game
Unb noch dazu bei offnen Fenstern — o Ma-
baute, warum haben Sie es gelitten ?
Schweigen Sie auf der Stelle, herrschte
ber Fremde Re an, ober Sie verlassen Da6
Zimmer! Ic6 hoffe, gnädige Frau, fubr er
in milderem Tone fort, sie erwarten seine
Wunder von mir. Der Kampf, ben wir zu
sümpfen haben, entscheidet sich nicht in einer
einzigen Nacht. Das Kind bat ein heftiges
Nervenfieber, unb unsere einzige Sorge muß
sein, zu verhüten, daß das (Bebirn mit er-
griffen werbe. Aber lassen Sie sich auch
nicht Durch jedes neue Symptom in neue
Aufregung bringen. So weit ich urtheilen
sann, Rnb seine erschwerenden Umstände
vorhanden. Sehen Sie, es öffnet Die Au-
gen wieber. Die Natur fühlt, daß man ibr
Zu Hülfe kommt. Wie alt ist DaS Sind ?
Einige Wochen über Reben Jahr.
Ein schönes Kind! so kräftig entwickelt:
Was müssen Sie gelitten haben!
Thränen stürzten Der Mutter aus Den Al-
gen. Sie drückte das Gesicht gegen bie stei-
ne heiße Hand, Die auf Dem dunklen Plaid
ruhte, unb alle Angst ber letzten schweren
Stunden löste Reh wohlthätig in heftiges
Weinen.
Endlich erhob Re Reh und fanf, mit einem
dankenden Bliese, auf ben Stuhl, den er ihr
neben das Bett geschoben hatte. Auch er
nahm einen Stuhl unb setzte Reh an das Fu:
Bende, bie Augen mit ruhigem Ernst auf DaS
kleine Mädchen geheftet. Sie schwiegen,
unb Die Wärterin, bie Reh jetzt ibrer unbe-
dachten Hitze schämte, ging von fünf zu fünf
Minuten hin unb ber, ben feuchteUmschlag
Zu erneuern. Drauszen war alles rubig ge-
worben, bie letzten Wolken vom Himmel ver.
webt, ber Mond Rahl Reh schräg durchaen-
ster herein unb glänzte über bie schmale, blas-
se Hand ber Mutter, bie das eine Händchen
ihres Kindes beständig sanft streichelte. Man
hörte Die kleinen Bäche, Die Der Regen gebil-
bet hatte, vorn am Hause vorbeirieseln und
ben eintönigen Tropfenfall ber Dachrinnen,
während hinten im Stalle ber Kutscher mit
ben Pferden hantirte unb ein Liebchen pfiff.
Plößtic richtete Reh das Rind aus seinem
Kissen auf, sah ben fremden Mann mit weit
offenen Augen an unb sagte: Sit das ber
Papa? 3R er nicht todt ? Je möcht ibm
ein Rüßchen geben, Mama. Gelt, er bat
mir was mitgebract ? — Jc will auf sei-
nen Schorß — wo iRbie Sepbi? — Ach,
mein Kopf! Papa soll mir ben Kopf halten
— ich will trinfen !
Damit Rel das kleine blonde Haupt wieber
ins Kissen zurüd, unb ber Schmerz drückte
ihm bie Augenlider zu.
Eberhard stand auf unb hielt ein Gao
mit frischem Wasser an bas brennendeMünd.
chen. Danse, Papa! sagte das ein). —
Danach warb es wieber ruhiger, uud nur
bas Zucken ber halbgeschlossenen dunfelrothen
Lippen verrieth, daß es leibe.
Ich muß Ibnen erflären, sagte bie Da-
me unb wandte sich zu bem schweigsamen
Doctor, ber wieder feinen Plaß eingenom-
men, wie mein armes Kind auf biese Phan-
tasien kommt. Ach, leider babe ich es mir
vorzuwerfen, daß ich felbs ben Anlaß zu
dieser furchtbaren Erschütterung gegeben ha-
be. Der Vater meines lieben Kindes war
österreichischer Officier. Wenige Monate
nach unserer Hochzeit mußt ich ihn in ben
italienischen Krieg ziehen sehen. Dann fam
von Solferino die Nachricht, daß er mit un-
ter ben ersten Opfern bes blutigen Tages ge-
blieben sei. Seitdem war es immer mein
heißester Wunsch, hinzuteisen, unb wenn auch
sein einzelner Hügel bie Stätte bezeichnet,
wo mein theurer Mann von seinem furzen
Erbenlaufe ausruht, toc wenigstens einmal
bie Luft zu athmen, in ber sein Herz zu fchla-
gen aufbörte. Auch bie Kleine verlangte da-
nach, je mehr Re heranwachs unb es begrei-
fen sonnte, was ich ihr vom Tode ihres Va-
ters erzählte. Es war bann wieber Manched,
was mich zurücbielt; auch bie Sorge, bas
Rind, bas immer eine leicht erregbare Phan-
tasie unb ein weiches Herz hatte, möchte ;u
sehr von ber Reise angegriffen werben. Und
nun habe ich es wirklich so schwer zu büRen,
daß ich ber Sehnsucht nachgegeben.
(Fortsetzung folgt.)
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Lindheimer, Ferdinand J. Neu-Braunfelser Zeitung. (New Braunfels, Tex.), Vol. 18, No. 36, Ed. 1 Friday, July 29, 1870, newspaper, July 29, 1870; New Braunfels, Texas. (https://texashistory.unt.edu/ark:/67531/metapth1652010/m1/1/?q=%22civ-war%22: accessed July 18, 2024), University of North Texas Libraries, The Portal to Texas History, https://texashistory.unt.edu; crediting Texas State Library and Archives Commission.