Neu-Braunfelser Zeitung. (New Braunfels, Tex.), Vol. 18, No. 49, Ed. 1 Friday, October 28, 1870 Page: 1 of 4
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Herausgegeben und redigirt von Fer d in ait d S. Lindh ei m er.
Jahrgang 18.
================================
Rietst über $
Abonnement auf die N. %. Bettung
von No. biö No.
für Herrn
allerlei Künste zu trieben, ohne eine Ahnung
davon zu haben, was Kunst ist.
Nur im Tanzen ist sie eine geborene Mei-
sterin. Schabe, daß bie Trauer ihr verbietet,
dieses ihr persönlichstes Talant auszuüben.
Aber ich belauschte sie neulich, wie sie eben
ein Paar neue Schuhe beknmmen hatte, di-
rect aus Paris, ba sie behauptet, Köpfe unb
Füße würdig zu bekleiden, verstehe blos her
Franzose. Wirllic sind bie Meinen Stel -
den bas Zierlichste, was man nur sehen
sann, unb paffen ihr wie angegossen. Nun
fing sie plötzlich in unserem grossen Zimmer
Zu tanjen an unb wirbelte wohl eine halbe
Stunde um ben Esstisch herum, daß ic mich
nicht satt sehen sonnte. Unb babei eine ganz
ernsthafte und vornehme Miene, als begehe
sie eine Art Cultus, nicht eine Spur von
Selbstgefälligkeit; ja ich bemerkte deutlich,
daß sie nicht einmal in ben großen Spiegel
sah, so oft sie auch an ihm vorbeischwirrte.
Ich wollte noch von unserm Hausfreund
erzäblen, aber eben tritt er in bie Thür, unb
obwohl er nicht meinetwegen kommt, muß
ich doch seinetwegen diesen Brief scließzen.
3ch umarme Dich in alter Zärtlichkeit.
Bessere dich. Schwarze, unb gieb bir ein we-
nig Mühe, meinen Liebling zu lieben, eins-
weilen auf mein ehrliches Gesicht bin, bis
bie ihre eigenen spitzbübischen Augen das
Herz stehlen. 2.
ben 24. Februar.
Also: Er ist sebr groß, sehr braun, sehr
stil unb sehr gelehrt. Von dem letzten merkt
man allerdings am wenigsten. Denn wenn
wir alle Vier beisammensitzen, giebt unsere
Meine Prinzeß natürlich ben Ton an, unb
bie Astronomie von ber ich gern reden hörte,
ist nicht sehr in Gnaden bei ihr. 3bm
scheint es gerabe recht zu fein. Um so besser
sann er, wenn er fommt, von seiner Arbeit
beiuns ausruhen. Und er fommt fast täglich,
ba er außer uns sic noch in sein Haus hat
einfübten lassen unb zumRachtschwärmen mit
Junggesellen weber Reigung noch Zeit zu
haben scheint. Wenn Andere in ein Wein-
glag gucken, sieht er durch bie Gläser seiner
Fernröhre. Ich hatte, ba er ehr ernst sehr
ernst unb still war anfangs ein wenig Furcht
vor ihm. Ic dachte, er müsse mich entsetz-
lic unwissend sinden, da ich von Allem, was
ihm wie das Einmaleins ist, auch nicht bas
Geringste verstehe unb vom ganzen Ster-
nenhimmel nur bie Milchstraße und ben gro-
ßen Bären feine. Aber bald fam ich dahinter,
baß in dem fertigen, ernsthften Manne noch
ein rechtes Kind steckt, harmlos unb bis zur
Schüchternheit weltkundig, babei dankbar
für jeden Spaß unb ohne alle gesellige Drä-
tension. Je besser er am Himel Bescheid
weiß, desto blinder scheint er bisher auf her
Erbe herumgewandelt zu sein. Unb boch hat
er Augen im Kopf, unb es war drollig mit-
anzusehen, wie weit er sie aufriß, als Da-
pa zu ihm sagte: dies ist meine jüngere
Tochter, Lillt. Ic bin es schon gewöhnt,
baß bie Leute auf ber Straße ihr nachsehen
unb wenn einmal Einer mit Scheuflappen
an ihr vorbeirennt, nehme ic es ihm fast
übel ober bebaure ihn, als sei es nicht ganz
richtig mit ibm. Ein so naives Erstaunen
aber, wie bei unserm jungen Sterngucker,
hab’ ich doch noch nicht erlebt ! Er bat buch,
stäblic an jenem ersten Mittag sein Auge
von ihr abgewendet, unb ich zweifle
sehr, baß er wußte, was er
auf seinem Teller zerschnitt uud zum
Munde führte. Sogar Lilli, bie doch an
Huldigungen gewöhnt, würbe durch diese
stumme Anbetung verlegen gemacht unb ge-
staub mir bernac, baß sie ben Gast sehr
langweilig gefunden. Sie bat aber im Lauf-
ber Zeit ihre Ansicht geändert, zumal auch
Georg—wir nennen ihn schon mit dem Vor-
namen— sic von bem ersten Schrecken über
ihre Schönheit erholt bat unb nun all seine
Liebenswürdigkeit aufbietet, ihr nicht bloß
wie bem ersten besten, Millionen Meilen
entfernten Firsterne gegenüber zu sitzen. Er
stellt sich babei so närrisch an, baß er sich bei
Lilli um allen Respect gebracht hat. Aber
gerabe das scheint ihr zu schmeicheln. So
einer wissenschaftlichen Grösze ihren kleinen
Fuß auf ben Nacken zu setzen, einen Kopf
Zu verrücken, bem unter allen himmlischen
Planeten* unb Kometenbabnen nicht
schwindlig wirb, das wirb ihr nicht alle Ta-
ge geboten. Unb so merke ich denn auch zum
ersten Mal etwas an ihr,was man Kokette-
rie nennen muß: ben Wunsch, ein Her; zu
fesseln, nur um es zu besitzen, ohne baß man
sein eignes Her; dagegen hinzugeben geneigt
wäre. 3a sogar eine sonderbare Eifersucht
bemächtigt sich ihrer, wenn es sic trifft, baß
Die beiden Schwestern.
Von
Paul Heyse-
; —-0—-
(Fortfetung.)
Ic muß nur gleich umgebend auf deinen
eben eingetroffenen Brief antworten, schwar
zes Herz l Was bab’ ic nur geschrieben,
das Dir von meiner armen Meinen Lilli eine
so bösartige Vorstellung beigebract hat ?
Daß wir ein seltsames Schwesternpaar sind
sehr verschiedene Sprachen sprechen und das
Leben mit sehr ungleichen Augen anseben,
sann dich das wundern ? Das Kind ist eben
für seine Jahre so viel zu jung, wie ich für
die meinigen zu alt bin. Und Alles um sie
ber, seitdem sie auf der Welt ist, bat sic das
Wort gegeben, sie nicht alt, d. h. reif wer-
den zu lassen. Aber wie gut der Fond ihrer
Natur ist, seheich alleTage daran, daß ic mir
nur wenig Mühe zn geben brauche, sie ein-
mal nach innen zu führen, und sie folgt
mir so willig, mit so allerliebster herzflopfen-
der Neugier, wie ein Kind dem man eine
Kamera obscura zeigt. Daß dann frelic
gleich der nächste beste Unlaß sie wieder zu
allem Muthwillen, zu jeder Tändelet und
gefellschastlichen Nichtigkeit fortreißt, ist
eben so wahr. Aber wir Philosphen sollten
vor allem bedenken daß jedes Wesen seiner
Natur getreu zu bleiben hat und nicht ge-
schollen werden darf, wenn es das in vol-
lem Matze thut. Wem das „Glanzlicbt”
fehlt, her hat gut im Winkel sitzen und weise
die Achseln zucken. Aber eine Meine Prinzes-
sin, die ein Näschen besitzt, wie meine Lilli,
oder vielmehr, die vom Kopf bis zur Fuß-
spitc ein einziges großes Glanzlicht ist,
müßte man es her nicht übel nehmen, wenn
sie dies Licht unter den Scheffel stellte, statt
ihren Beruf zu erfüllen und lustig darauf
los zu glänzen ?
Und du thust ihr wahrhaftig Unrecht,
Schwarze, wenn du mich beklagst, daß „ihre
‘Eitelkeit meinem mütterlichen Schwesterher-
zen wehe thun müsse." Sie ist gar nicht
vcitel"in einem fatalen Sinne. Sie weiß,
daß sie alle Welt bezaubert, und müßte
kaub unb blind sein, um es nicht zu wissen.
Aber ein kokettes Bordrängen ihrer Person,
in Haschen unb Jagen nach Eroberungen,
ein beständiges Spiegelgacken unb Solfeg-
giren ihrer süszen Meinen Herenkünste habe
je nie an ihr wahrgenommen. Wenn Je-
mand viel Geld hat unb bie Stellung, die
ihm sein Reicht hum giebt, einfach als etwas
Selbstverständliches hinnimmt, sann man
ihm bann seine Hunderttausende als einen
Characterfehler vorwerfen? Dazu werben
sie erst, wenn er jeden armen Teufel über bie
Achsel anliebt, ober sich wie Harpagon über
seine Geldfiste wirft unb sich im Anblick
feiner Schätze berauscht, — Richt umsonst
nenn ich meinen Meinen, von Allen verwoge-
nen Liebling „die Drinzessin". Es ist
wirklich etwas vornehmes in ber Art, wie sie
mit den verschwenderischen Gaben ber Na-
tur wirthschaftet, babei freilich weiß, was sie
ihrer bevorzugten Stellung schuldig ist, unb
daß sie so zu sagen bie Hanneurs ihrer
Schönheit machen muß, in Toilette, Lie-
benswürdigfeit, Talenten u. f. w. Denn sie
bat auch eine Menge „Talente" und bie
Gräfin ließ es sich sebr angelegen sein, die-
selben auszubilden. Ich, liebste Cioti, babe,
wie bu weißt, nie ein Talent gehabt, bis
auf bas eine, mich in Welt unb Menschen
Zu schicken. Aber obwohl manches Versagte
mir begehrenswertb erscheint: dieses Sin-
gen, Blumenmalen unb Comödiespielen mei-
ner Meinen Prinzessin, so vielen Beifall es
findet, würbe mich nicht einen Augenblid
glücklich machen kännen. Wobl wünschte
ic mir, ein Talent zu haben zu irgend einer
Kunst. Dann aber sonnte es mir nicht groß
genug fein, unb wenn es mich auch mit mei-
nem übrigen Leben entzweien unb in tau
send Kämpfe reißzen sollte, ich würbe es ans
Herz drücken, wie eine andere unglückliche
Leidenschaft, bie ben Menschen selig macht
indem sie ihn von Grund aus erschüttert.
Scheine ich Dir ncht doch excentrischer, als
für einen „Philosophen’’geziemt ? Nun, es
ist feine Gefahr, daß mir wie im Märchen
von ben dref Wünschen, daß mir bie Brat-
wurst an nie Nase wachse. Ich werbe fort,
fahren durch meine Talentlosigkeit zu glän-
Zen unb im Stillen meine arme Lilli zu be-
bauern, bie sich so viele Mühe gehen muß.
Freitag, den 28. October 1870. Nummer 49.
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mitten unter den Kindereien, mit denen
sie Georg unterhält, an ein bingeworfenes
Wert sic ein ernstes Gespräch anfnüpft unb
er sic zu mir wendet unb eine Zeitlang zu
vergessen scheint, baß ber Hofdienst eigentlich
jebes andere Interesse ausschlieszen sollte.
Sie sitzt denn eine Weile schmollend auf
ibrem'lat, bis sie es länger nicht aushalten
sann, ans Clavier eilt ober sonst etwas aufs
Tapet bringt, was ihn wieder ausschließlich
an sie fesselt. Unb dieser Mann ist anc
wi klich ihr gegenüber nur—ein Kind,
wollte ich schreiben, aber Kinder sind nicht
so bestechlich ; —ein M ann, wirb wohl
das rechte Wort sein; ober giebt es einen
besseren Typus des starken Geschlechts, als
Herkules, ber zu Omphale's. Füßzen am No-
cken spann ?
Daß ich dagegen manchmal schwach genug
bin, über diese seine Schwäche — in seine
Seele hinein — unmuthig zu werben läugne
ich nicht. Aber bann sag' ich mir wieder, baß
ja Alles so in ber Orduung ist, so war vom
Anbeginn, von Eva unb bem trojanischen
Krieg bis an ben jüngsten Tag. Unb bann
erschwing ich so viel Humor, baß ich es ben
beiden Kinderders an tollen Einfällen zuvor-
thue unb selbst unser alter zerstreuter Papa
in ufern Lach-Cher mit einstimmen muß.
Ach, Cloti, manche Dinge hören auf schwer
ju sein von bem Augenblick an, wo man sich
entschließt, sie leicht zu nehmen !
Dein „Philosoph.”
Am 3. März. Schöne aber
falsche Sonne. Auf meinem
Schreibtisch duftet ein-reizender
Veilchenstrauß, ben Georg mir
gestern gebracht.
„Der Mutter sehens’ ich,
Die Tochter benf ich—"
was sich auch ans Schwestern
mit unb ohne Glanzlicht an:
wenden laßt,
Ich glaube ich habe es „berufen",
Schwarze, als ich es rühmte, wie wir Zwei
uns in unb zwischen ben Zeilen verständen.
Seitdem liefest bu aus meinen unschuldigen
Briefen bie schwärzesten Dinge heraus, unb
meine Vertheidigungen geben bir nur Stoff
Zu neuen Anklagen. Was hab? ich denn ge-
sagt, baß €6 bir so unerfreulich macht, Ge-
org unb Lilli bir als ein Paar zu denken ?
Wenn bu sie nur sähest! Wir gingen neulich
zusammen spazieren, Dapa unb ic hinterher,
bie iKinder" voran. Er führte sie nicht,
er wagte aus ber Straße kaum sie anzusehen
aber wobl Niemand ging vorbei, ohne sich
zu sagen : bie sind für einander geschaffen !
— Denn auch er ist ein schöner Mann,
wenn es auch nicht gleich so in bie Augen
fällt, wie bei unserm Prinzeszchen. Aber es
ist eine ruhige Noblesse in Wesen, bie nur
noch mehr hervortritt, wenn dies blonde
flackernde Flämchen, bas seinen Moment
Ruhe hat, ihn mit seiner Jugend unb
Schönheit anstrahlt. Daß es damit nicht
gethan ist, wie zwei Menschen sich nebenein-
anber ausnehmen, darüber werben wir nicht
streiten. Auch leugne ich nicht — ganz unter
uns — sie will mir oft an Sinn unb Ge-
wüth ihm nicht ebenbürtig scheinen, unb ich
frage mich mit einer gewissen Bangigkeit,
ob aus bem verzogenen Kinde je ein Weib
heranreifen wirb, das diesen trefflichen, gu-
ten, hohen Menschen glücklich machen sann.
Aber bann sag’ ich mir wieder: wenn ir-
gend ein Mann meine Meine Litli davor be-
wahren sann, eine von ben gewöhnlichen
Weltdamen zu werben, so ist es dieser.
Wenn bu nur eine Stunde mit ihm gespro-
chen hättest, Cloti, bu würbest mir beistim-
men. So viel Zartsinnn unb Weichheit bei
so viel Kraft, Ruhe unb Heiterkeit! Es ist
wahr, Lilli gegenüber gefällt er mir nicht
immer; ich finde, er vergiebt sich zu viel, er
sollte sie mehr zu sich hinaufziehen, statt sic
Zu ihr berabzulassen. Dagegen hat er mit
mir gleich von Anfang an einen Ton ange-
schlagen, ber nicht liebenswürdiger, freund-
licher, brüderlicher sein künnte. Schon da-
rum allein mußt bu mie wünschen, daß
diese Ebe im Himmel geschlossen sein möchte,
damit ich einen solchen Schwager bekomme,
ber mich zugleich dafür entschädigt, baß ich
nie einen Bruder gehabt habe. Ohne baß
wir über bie Hauptsache je gesprochen, be-
handelte er mich von Anfang an, wie seine
Vertraute unb Verbündete. Schon bei sei-
nem britten Besuch sagte er, obwohl wir
noch gar nicht zusammen philosophirt hatten:
Sie müssen viel gedacht haben, 5räulein
Charlotte.— Woraus schließen Sie das ?
sagte ich.— Aus Ihrem Zubören, sagte er.
Ich lachte unb fragte ihn, ob er es mir als
Sünbe anrechne, baß ic alles was ich höre,
Zu versteben suche, ba uns ja bie meisten
Männer, wenn wir uns heimlich zu den-
erlauben, fast für so strafbar halten, als
wenn wir falsches Geld machten. Nein, sagte
er; ich hatte eine Mutter, in beren Bücher-
schrant, im verborgensten Fach, Schleier-
macher unb Fichte neben Handbüchern ber
Abpfif unb Anatomie standen. Sie hat mir
Tagebücher hinterlassen mit ben tiefsinnig-
sten Betrachtungen über Gott unb Welt.
Ic bringe Ihnen diesen Schatz ; Sie wer-
ben schwerlich falsches Geld darunter finden,
wenn auch mancherlei von leichterem Ge-
präge.—Nun bat er sie mir neulich gebracht,
Zu meiner großen Freude. Wie gern schriebe
ich bir Einiges daraus ab, wenn ich bürste.
Aber ich soll biefe Hefte ganz für mich allein
behalten, er bat es mir auf bie Seele gebun-
ben. Lilli fam einmal darüber, las ein paar
Seiten unb legte sie bann wieber fort, ohne
ein Wort zu sagen. Es sind freilich meist
bittere Lebenoftüchte.
Doch scheint sie nicht unglücklich gewesen
Zu sein. Sie bat ihren Mann aus Neigung
geheirathet, einen ritterlichen, jungen Offi-
Zier, ben uns Dapa als einen trefflichen Ra-
maraden geschildert hat. Db er ganz wußte,
was er an dieser Frau hatte ? Wenigstens
bat mir Georg erzählt, baß feine Mutter
biefe Tagebücher auch ihrem Manne nie mil-
getheilt habe. Das verstehe ich nun wieber
nicht. Wenn ich einen Mann hätte ich mei-
ne ber müsse alle meine Gedanken wissen,
noch ehe ste mir selbst ganz flar geworben.
Aber das ist wieber das alte Kapitel von ben
seltsamen Streichen, bie bie Leidenschaft ben
armen terblichen spielt, von ber Macht her
Schönheit, bie selbst Philosophen weiblichen
Geschlechts zurathen aufgiebt. Bin ich nicht
selbst ein Beispiel davon? Das einzige Mal
baß ic meinem alten Sokrates untreu ge-
worben, war es nicht eine ven ben ganz al.
täglichen Verliebungen in einen mir ganz
unbekannten schönen Menschen, mit bem ich
nie ein Wort gewechselt hatte. Es lief frei-
lich sebr anders ab, als bie meisten solcher
Romane.
Aber ich merfe, ich habe schon zu Viel ge-
sagt, um nicht Alles zu sagen. Bei deiner
jüngst erlangten Meisterschaft, zwischen ben
Zeilen meiner Briefe Gespenster zu sehen,
liesest bu am Ende eine unglückliche Lieb-
scaft mit einem Kunstreiter ober Maus,
fallenfrämet heraus. Ohne Umschweife also:
eS war ein junger Engländer aus einer he-
runter gefemmenen vornehmen Familie, ber
in bem Hause uns gegenüber ein Meines
Quartier von brei Zimmern miethete unb
unten an ber Hausthür einen Zettel anbes-
tete: Mr Wilford, professeur de la lan-
gue anglaise et francaise. Ich will ibn
Dir nicht weiter beschreiben, kurz ich fand ihn
wunderschön, unb um so interressanter, ba
er arm unb melancholisch war unb offenbar
früher angenehmere Dinge getrieben hatte,
als mit jungen Anfängern ben Vicar of
Wakefield zn buchstabiren nnd ben mar-
«hand de participes zu machen. Ich wur=
be nicht müde aus einem verstohlenen Win-
fel unseres Wohnzimmers zu ibm hinüber zu
sehen, ihn zu beobachten, wenn Unterricht
gab ober still für sich in seinem einfachen
braunen Nock stundenlang auf unb ab ging,
als denke er über eine große Erfindung nach,
babei manchmal mit ber sehr schönen weißen
Hand über bie hohe Stirn fuhr, seufzte ober
auch wobl gähnte. Ich fand das Alles be-
zaubernd, sogar wenn er, ba er von seinem
neugierigen vis-a-vis feine Ahnung hatte, am
Neuster stehend sich rasirte, wobei ich jedes,
mal zitterte, wenn er er sich bie Haut ritzte.
Eines Tages war bas Zimmer leer. Nun
erst empfand ich, wie sehr ich verliebt war ;
denn bas Leben hatte plößlic allen Reiß für
mich verloren. Zwei-—brei Tage ertrug ich
biefe Leere. Endlich faßte ich mir ein Herz,
in möglichst unbefangenem Ton unser Haus-
mäbchen zu fragen, ob brühen andere Mie-
ther einziehen würben; ber Herr rastre stc
nicht mehr. Da erfuhr ich, baß er in einigen
Tagen wieber kommen, bann aber eine junge
Frau mitbringen würbe, mit ber er eben bie
Hochzeitsreise mache. Wie mir ba zu muthe
war, Cloti—ich weiß nicht, ob bu je von Ei-
fersucht zu leiben gehabt hast. Ich nur die-
seS eine Mal aber für mein ganzes Leben
genug ! Unb nicht meine altbewährte Philo-
sophie, nicht Arbeit, nicht Zerstreuung irgend
einer Art hals mir bagegen, nur—so wun-
derlic es flingt—gerade das, was mich
frans gemacht hatte: ber Anblick des frem-
ben Glücks, bie Bekanntschaft meiner Ne-
benbublerin (natürlich auch nur über bie
Straße nnb durch zwei Fensterscheiben) unb
es endlich ber sehr vernünftige Entschluß,
mich eben so in bie Frau zu verliehen, wie
ich mich in ben Mann vergasst hatte.
Es war auch nicht schwer, am Anblick dieses
Paars sich zu erwärmen unb sich aller thö-
richten Nebengedanken zu entschlagen. Ich
habe später einmal eine alte Tieck'sche Ro-
velle gelesen, bie erfreulichste, bie er je ge-
schrieben hat, „Des Lebens Ueberflut". Ließ
ste liebste Cloti, wenn bu ste noch nicht
kennst, unb bann stelle bir noch obenein bei-
be Leutchen so schön vor, als bu nur kanust,
unb frage dich, ob über bem Anblick solch ei-
nes leidenschaftlich getheilten Glückes nicht
jeder Dritten Neid unb Eifersucht vergeben
müßten, auch wenn ste durch ibr eigenes
Gesicht nicht schon früh dazu gewöhnt wor-
ben wäre, ben Gedanken sehr lächerlich zu
finden, baß ste selbst jemals eine Leidenschaft
einflöszen fönnte.
Das aus ben Glücklichen geworben ? Ic
weiß es nicht. Sie wechselten nach einem
Vierteljahr bie Wohnung, unb ich habe nie
wieber etwas von ihnen gehört. Seitdem
aber habe ich mir feine Untreue gegen mei-
nen Sokrates wieber ;u schulden kommen las-
sen, denn jede Schuld rächt sich auf Erden,
unb diesen gelassenen Zeilen wirst bu es
schwerlich ansehen, was für Schmerzen unb
Kämpfe dahinter liegen. —--
gebe wobl! Ic habe mic heute wieber
auf ben vierten Bogen verirrt unb gerabe
noch so viel Plaß, dich um getreue Wabh-
rung des Beichtgeheimnisses zu bitten, vor
Allem natürlich gegen ben Herrn Gemahl,
von bem ich wünsche, baß er eine vortheil-
haftere Meinung von mir haben möchte, als
ich selbst.
Am 9. März, Nachts 1 Uhr.
Wenn bu räthst, wo ich eben herkomme.
Schwarze! Natürlich von einer Nacht-
schwärmerei, von einer lustigen Gesellschaft,
wo ich mic als eine würbige Schülerin mei-
nes attischen Meisters bewährt habe, ber
bekanntlich auch bie Nacht durchzechen sonnte,
ohne nur einen halben von feinen fünf Sin-
nen zu verlieren. Auch ich habe vier —ich
glaube sogar fünf Gläser Champagner ge-
trunken, unb stehe, wie gerabe meine Feder
noch hinläuft ! Wo aber biefe Orgie statt-
funden—nein, Schwarze, gieb bas rathen
nur auf! benn ich glaube wahrhaftig, ber
erhabene Ort, ben wir zum Schauplaß un-
serer nächtlichen Ausgelassenheit wählten, ist
seitdem bie Welt steht, noch nie in ähnlicher
Weise entweiht worben. Ober geweiht
sollte ich lieber sagen. „Die Stätte, bie ein
guter Mensch betrat, ist eingemeiht"—unb
heute waren es [mich mit eingerechnet] so-
gar vier gute Menschen, unb ber Cham-
pagner war ber Fünfte im Bunde, unb auch
ber war gut, Eloti, so gut, baß es für mei-
nen Papa ein rechtes Glück war, zwei Töch-
ter zu besitzen, bie ihm auf bem Heimwege
links unb rechts zur Seite geben unb sorgen
sonnten, baß sein Fuß nicht an einen Stein
stoße.
Run aber ohne Umschweife; wir waren
aus ber Sternwarte! Schon längst
hatte uns Georg versprochen, es uns wissen
;n lassen, wenn es etwas Apartes gäbe.
Endlich that uns ber Mond den Gefallen,
steh ein bischen verfinstern zu lassen ; darauf
würben wir benn feierlich eingeladen. Mir
flopfte ordentlich das Hera als ich bie Trep
pe zum Observatorium binaufstieg, etwa wie
einem jungen adeligen Fräulein, das zum
ersten Mal bei Hof vorgestellt werben soll.
Ich dachte wahrhaftig, ich würbe ben bimm-
lischen Majestäten in bie Fenster gucken unb
ben lieben Gott soupiren sehen. Run, wenn
es auch dazu nicht fam, es war immer mer!
würdig genug, unb ich sann wobl begreifen,
wie einem ba oben vor ben wunderbaren
Gläsern ber Slaf abhanden fommt. Unb
nun Georg bas Alles erflären zu hören!
Ic hatte allerlei Fragen auf bem Herzen ;
benn ich will bir nur gestehen: schon vor
brei Wochen habe ich mir ein Buch ange.
schafft, „bie Wunder des Himmels", unb
mich barin zurechtzufinben gesucht, so gutes
geben wollte. Da hatte ich eine Menge con-
fuse Kenntnisse, baß Georg nur so staunte,
über ihre Menge unb ihre Eonfuston, bis
ich ibm gestand, wo ich meine Weisheit ber
hatte. Da lahte er unb fing nun ein or-
dentlich Eramen mit mir an, und wie ic
meinen ganzen Sad schöner Kenntnisse ane-
geschüttet hatte, sagte ic hätte summa cum
laude bestanden unb er wolle mir bie Doc-
torwürbe ertheilen. Damit öffnete er bie
Thür zu einem kleinen Cabinet nebenan, wo
er gegen Morgen ein paar Stunden zu ruhen
ober zu schreiben pflegt, weun grabe ber
Himmel bedeckt ist, unb ba stanb ein rundes
Tischchen mit vier Gedecken unb Blumen
unb Früchten unb allerlei Kuchenwerk, unb
im Winkel ein mächtiger Eiakübel voll sil-
berköpsiger Flaschen. Sehen Sie, Fräulein
Charlotte, sagte er, ic hatte eine Tönung,
was bente bevorjtünde, unb babe gleich da-
für gesorgt, baß wir einen bescheibenen Doc-
torsebmaus feiern sönnen. Nun führte er
mich mit lustiger Feierlichkeit an das Tisch-
chen, auf bem eine schöne hohe Lampe
brannte, unb machte bann ben Wirtb und
unb Diener zugleich, mit so unwiderstehlicher
Liebenswürdigkeit, baß selbst Lilli, bie ihren
launischen Tag hatte unb auch mit bent
Sternenbimmel nicht viel anzufangen wus-
ee, endlich aufthaute unb immer schöner,
kindischer unb amüsanter wurde. Auch Da-
pa habe ich selten so guter Dinge gesehen.
Zuletzt fing Lilli, bie fleißig vom Schau«
genipppt batte, an französische Volksliedchen
Zu singen, unb wäre nur Raum dazu gewe-
sen, ste hätte noch getanzt. Als es endlich
Mitternacht schlug, stanb Georg auf, füllte
bie Gläser von Neuem unb hielt bann eine
übermüthige Rede mit allerlei lateinischen
Brocken, Worin viel von Sternen unb Au-
gen, guten hellen Menschen unb solchen, bie
sich berechnen ließen, unb Kometen, bie
plötzlich nnangemeltoet in aller Pracht am
Himmel stünben, bie Rede war, unb bie na-
türlich nur auf Lilli zielte. Bis er fich bann
zum Schluß besann, baß er mich eigentlich
zum Doctor promoviren wollte, unb das
benn auch that, mit ben spaßboftesten gravi-
tätischen Förmlichkeiten. Ich hätte nie ge-
dacht, baß in bem ernsten stillen Mann ein
salcher Duell von Humor sprudle. Aber im
Wein ist Wahrheit. Wenn ich ihn noch nicht
lieb gehabt hätte, biefe Nacht hätte mich da-
rüber aufklären müssen, welch ein prächtiger
Mensch er ist.
Da schlägt es richtig schon Zwei. 3& be-
neide meine Meine Prinzessin, bie gleich au
Bette ging unb nun schon lange schläft.
Kinber stnb boch glückliche Menschen ste ver-
shlafen Freude unb Leid. Ein alter Mensch,
wie ich, wacht nach so fröhlichen Stunden
noch so lange, bis bie Heiterkeit verdampft,
wie Wein, ber im Glase abstebt unb endlich
trübe wirb.
Ic will zu schlafen versuchen. Gute
Nacht!
[ Fortsetzung folgt. ]
Wusdem Kriege.
Eemund About ber französiche Correspon-
bent, sagt in einem seiner Briefe: 36 sab
heute Etwas, bas sonderbare Gedanken in
mir anregte. Als ich frühstückte, faß nahe
bei mir ein satanisch aussebender Turco. Er
war mit goldenen Ketten Ringen unb In-
welen aller Art bebedt unb hatte mehrere
Geldbeutel, welche voll Gold waren. Als er
sab, baß ich auf feinen wahrhaft orientali-
schen Schmud aufmerksam wurbe unb fic
sichtbar darüber freute, so sagte er mir, hast
sein ganzer Reichthum bie Beute von einem
preußischen Eantinier fei, einem Manne ber
mit ber Schnapeflasche ben Regimentern
nachfolgt. Was ich aus seinem schlechten
Französisch, bas mit Arabisch unb jeber an-
bern bekannten Sprache vermischt war, ver-
stehen sonnte, war, baß er ben Marketender
mit brei Bayonetslichen tödtete unb 6,000
Fransen ihm abnahm. Ic dachte bei mir
selbst, deine Erzählung mag vielleicht wahr
fein aber es würbe Dir wohl leicht sein. Jeden
ber 6,000 Franken bei steh bat, für einen
Preussen zu halten. Da es aber die franzö-
Nische unb nicht bie preußische Armee war,
bie auf ber Flucht sic befand so
fürchte ich, baß es kein Preuße war, ben
bu geplündert hast.
Der „Fi gar o" sagt, baß bei Reichs-
bofen ber Körper des Colonel La Carre von
bem britten Cuirasstrregement beim Angriff
ohne Kopf, in bem Sattel faß. Sein Kopf
war von einer Kanonenfugel abgeschlagen
worben. Dieselbe Kugel hatte ben Trompe-
ter in zwei Stüde zerrissen unb hatte nod
einen Capitän, der an feiner Seite ritt ben
Kopf weggenommen.
Han a u . Die hetrn Steinbauer u.Eo.
geben andern Fabrikbesitzern ein nachab-
menzwerthes, patriotiiches Beispiel durch
Unterstützung ber zum Heere einberusenen
Arbeiter unb beren Familien. Laut An-
schlag in ber Fabrik genannter Herren erhält
jeder einberufene Arbeiter bei seinem Abgan-
ge 10 st. als Zehrpfennig unb jede Arbei-
terfamilie, während ber Dauer des Feldzuges
eine wöchentliche Unterstützung von 5 st.
Den größten Beitrag aufbet
Liste ber deutschen National Subscription
bat die Hamburger Firma Hein,
r i ch Schröder gezeichnet, nämlic
500,000 Mart Banco [$135,000] bann
folgt Beh r e n S unb Söhne mit 50,000
Mart.
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Lindheimer, Ferdinand J. Neu-Braunfelser Zeitung. (New Braunfels, Tex.), Vol. 18, No. 49, Ed. 1 Friday, October 28, 1870, newspaper, October 28, 1870; New Braunfels, Texas. (https://texashistory.unt.edu/ark:/67531/metapth1652036/m1/1/?q=San+Antonio: accessed July 17, 2024), University of North Texas Libraries, The Portal to Texas History, https://texashistory.unt.edu; crediting Texas State Library and Archives Commission.